„Wir haben kein Menschenproblem, wir haben ein Systemproblem.“
Dieser Satz von Niels Pfläging auf dem diesjährigen >>LeanAroundTheClock>>, dem Treffpunkt für Lean-Experten und Interessierte im deutschsprachigen Raum Mitte März in Mannheim, hallt in mir noch gut nach. Sein Buch „Organisation für Komplexität, wie Arbeit wieder lebendig wird – und Höchstleistung entsteht“ habe ich schon länger in meinem Bestand. Ihn jetzt live dazu reden hören, hat mich nochmal neu inspiriert, meine Nase reinzustecken.
Woraus resultiert der ganze Schlamassel in Organisationen?
Eine Sache, die im Buch dargestellt wird, erlebe ich auch häufig in der Praxis bei Gesprächen mit potenziellen Kunden, die mir ihre Baustellen aufzeigen. Oft steht der Kunde erschöpft und einigermaßen ratlos im Nebel. Worin liegt wirklich sein Problem, dass er gerade an diesem Punkt ist? Häufig wird aktionistisch an Symptomen – also sichtbaren Wirkungen des Problems – herumgedoktert. Das lässt sich beispielsweise an der internen Anzahl von Projekten, Initiativen und Arbeitskreisen gut ablesen. Hier sind viele Köpfe gebunden und der Output bleibt oftmals hinter den Erwartungen zurück. Oder interne Verantwortliche kommen zum Schluss: „Wir müssen mal was mit unseren Führungskräften machen.“ Damit wird der Mensch zum Problem. Niels Pfläging erteilte dem in seinem Vortrag erfrischend eine Absage und geht davon aus, dass die meisten Probleme in Organisationen nicht vom Menschen, sondern vom System generiert werden.
Work the System
Eine systemische Grundannahme lautet: Verhalten ist kontextabhängig. D. h. die Umgebung beeinflusst Verhalten. Somit rufen Unternehmen über Hierarchien, interne Regelungen, Tools und Organisationspraktiken ein bestimmtes Verhalten der Mitarbeitenden hervor. Und hier wird es nun spannend hinzuschauen: Werden bestehende Probleme damit gelöst, dass Mitarbeitende in „falschen Systemen“ geschult und trainiert werden? Oder müsste der Fokus nicht stärker auf die Arbeit am System ausgerichtet sein, um eine wirklich zukunftsgerichtete Veränderung zu bewirken? Das schließt z. B. aus, halbherzig bestehende Prozesse zu optimieren, sondern verlangt vielmehr mutig systemverändernd zu intervenieren. Ziel ist es, Bedingungen zu schaffen, unter denen Menschen in der Arbeitswelt aufblühen und ihre Fähigkeiten voll einbringen. Niels Pfläging sprach von Bedingungen, die den Sauerstoff liefern, damit Feuer entfacht werden kann.
Drei mögliche erste Schritte, um den Boden für die Arbeit am System zu bereiten
Nachfolgend möchte ich mit Ihnen drei Gedanken teilen, um erste Schritte in Richtung Systemveränderung zu gehen.
1. Klarheit schaffen: Welches Menschenbild ist die Basis Ihres Organisationsaufbaus?
In der Theorie von der Natur des Menschen gibt es zwei Bilder, die unser Denken und Fühlen prägen – Theorie X (verkürzt: Menschen sind faul und passiv) und Theorie Y (Menschen sind engagiert und motiviert). Wichtig zu wissen: Unsere Annahmen und Glaubenssätze über Mitarbeitende beeinflussen unser Verhalten und wie Unternehmen entwickelt, organisiert und geführt werden. Niels Pfläging hat es auf dem LATC gut auf den Punkt gebracht: Es gibt keine „X-er“. Und dennoch bauen wir Organisationen für nicht existente „X-er“ geprägt von Anweisungs- und Kontrollsystemen.
2. Über den Sinn bestehender Systeme sprechen
Wenn ich im Gespräch mit Führungskräften und Mitarbeitenden bin, höre ich öfter: „Ich habe gar keine Zeit zum Führen.“ oder „Der Kalender meines Vorgesetzten ist voll. Ich komme gar nicht an ihn ran.“ Aus meiner Sicht braucht Arbeit am System mehr Priorität und Fokuszeit. Diese zeichnet sich durch Gespräche aus, die qualitativ einen Unterschied machen zu dem, was sonst ggf. in Ihrer Unternehmenskultur gelebt wird. Ruhe, Zuhören, verstehen wollen, Fragen stellen und über den Sinn bestehender Systeme sprechen. Damit schaffen Sie für sich auch die Gelegenheit, Symptome von wirklichen Problemen zu unterscheiden.
3. Die Kunst des Weglassens
Ich glaube, Organisationen sollten noch viel mutiger und radikaler alte Zöpfe abschneiden, um sich dynamik-robuster zu entwickeln. Und in Zeiten, in denen allgemeine Überlastung herrscht, sollten Sie sich ehrlich fragen: Womit sollen wir im Unternehmen aufhören? Was weglassen? Niels Pfläging bezieht sich in seinem Buch auf Peter Drucker der einst schrieb: „…, 90 % der Praktiken, die wir Management nennen, würden weiter nichts bewirken, als Menschen von ihrer Arbeit abzuhalten.“
Zusammenfassend ist mein Eindruck: Es gibt wahnsinnig viel zu verändern, um Unternehmen im Zeitalter des Wissens und der globalen Märkte so aufzustellen, dass sie einen robusten Umgang mit anhaltender Dynamik und Komplexität finden können. Einen Umgang, der sie nicht erschöpft, sondern vorbereitet anpassungsfähig agieren lässt. Wie ist Ihre Meinung dazu?
Buchtipp: Pfläging, Niels: Organisation für Komplexität, Wie Arbeit wieder lebendig wird – und Höchstleistung entsteht, Redline Verlag, München.