Optimieren Sie noch oder gestalten Sie schon?

Ich komme aus der klassischen Unternehmensberaterschiene. Auf Basis von Ist-Analysen habe ich Organisationen tiefgründig untersucht und Empfehlungen für die Überwindung von Problemlagen ausgesprochen. Der Fokus lag dabei stark auf Verbesserungs- und Optimierungsstrategien für Bestehendes. Bin ich heute bei meinen Kund:innen stelle ich fest, dass das längst nicht mehr ausreicht. Warum?

Geht es anders nicht viel besser?

Bei meinen potenziellen Kund:innen stelle ich vermehrt fest, dass zeitgleich mehrere Herausforderungen parallel laufen. Diese bestehen unter anderem in Dynamik durch Wachstum, Digitalisierung, Allokationsprobleme, Veränderung von Kundenanforderungen und Abgang von Fachpersonal. Langfristig wird es meines Erachtens häufig nicht ausreichen, für vielfältige Anforderungen gute Lösungen über klassische Verbesserungsansätze zu erreichen. Eine wachsende Anzahl von Problemen wird in heutigen, disruptiven Zeiten nur mit neuartigen Ideen und Ansätzen gelöst werden können. Ich beobachte, dass viele Führungspersonen und Unternehmen mehr denn je bereit sind, sich die Frage zu stellen: Geht es anders nicht viel besser? Diese „radikalere“ Frage zielt viel mehr auf unentdeckte Potenziale ab als das typische: Wie können wir Bestehendes besser machen?

Systemoptimierung versus Systemüberwindung

Ernst Weichselbaum zielt in seinem Buch „In jedem Unternehmen steckt ein besseres“ auf diese Fragen ab. Er verwendet hierfür die Begriffe Systemoptimierung und Systemüberwindung. Den Unterschied erklärt er so: „Bei der Systemoptimierung bleiben die bisherigen Konstanten erhalten. Systemüberwindung erkennt man am Wechsel von Konstanten – oder Konstantenwechsel.“  In diesem Zusammenhang finde ich es sehr spannend, auf die eigene Organisation bzw. das eigene Unternehmen zu schauen: Was sind bei Ihnen scheinbar feste Konstanten, die die Dienstleistungserstellung und Produktionsabläufe prägen? Sind diese Kostanten noch tauglich, um Ihre Kund:innen dauerhaft zufrieden zu stellen und dabei auch profitabel zu wirtschaften? Und wie erleben Sie es: Sind Sie und Ihre Kolleg:innen bereit,  bislang feste Kostanten loszulassen?

Mutig den Konstantenwechsel wagen

Den Begriff der Kostanten verbinde ich auch mit Glaubenssätzen, Prinzipien und „Wahrheiten“, die für einzelne Personen oder ganze Organisationen teilweise unhinterfragte Gültigkeit besitzen. Ganz nach dem Motto: So machen wir das hier eben. Das war schon immer so und hat bislang funktioniert. Wir machen das so, weil es in der Branche gängig ist. Feste Kostanten zu hinterfragen, kann für Führungskräfte und Mitarbeitende herausfordernd sein.

Organisationen neu gestalten

In meiner eigenen Praxis erlebe ich hautnah mit, wie aufreibend es sein kann, sich gemeinsam über Fragen des gesunden Wachstums, händelbaren Organisationsgrößen und Führungsstrukturen klar zu werden – gerade wenn Unternehmen schon viele Jahre erfolgreich am Markt bestehen. Hier lauert die Gefahr, dass bei den Beteiligten der Eindruck entsteht, dass das bisher Geleistete keinen Wert hat. Dem ist auf keinen Fall so. Stellen Sie intern klar: Alles was bisher war, ist gut, sonst wären Ihr Unternehmen oder Ihre Organisation nicht so weit gekommen. Und gleichzeitig kann es keine Rechtfertigung und Legitimation für Sie sein, um stehenzubleiben, festzuhalten oder gar zu verharren. Für Unternehmen geht es im Kern ständig um Überlebensfähigkeit. Bei rasch ändernden Umweltanforderungen führt ein Verlust an Dynamik und Wandlungsfähigkeit letztlich von Dienst nach Vorschrift über Silo-Krisen zum Tod im Lebenszyklus einer Unternehmung.

Zusammenfassend gesagt: Für mich ist deutlich spürbar, dass die neue Zeit andere Herangehens-, Denk- und Handlungsweisen von allen Beteiligten – eingeschlossen unterstützender Berater:innen – benötigt. Nur dann lassen sich wirklich zukunftsfähige Lösungen auf die aktuellen Fragen in Unternehmen und Organisationen kreieren. Die Optimierung bestehender Systeme ist häufig zu wenig und ich bin überzeugt, dass die Zukunft Konstantenwechsel und damit Systemüberwindung einfordern wird. Was ist Ihre Meinung dazu?

Inspirations- und Quellengeber für den Artikel: Weichselbaum, Ernst (2020): In jedem Unternehmen steckt ein besseres: Zeitorientierte Betriebswirtschaft mit dem Weichselbaum-System, Herausgegeben von Niels Pfläging, Verlag Franz Vahlen München.