Der Einzelne oder das System? – Sei ein Trüffelschwein!

Mir hat vor kurzem die Klarheit eines Linked-In-Beitrags imponiert: „Hört auf, Coachings für Organisationsprobleme zu verschreiben.“ Danke! Treffer! Will das Management wirksam in Teams und Organisationen etwas bewegen, heißt es mit Wachheit und einer guten Spürnase unterwegs zu sein, um keinen falschen Fährten zu folgen.

Eine ist die Dumme

Treten Probleme im Arbeitsalltag auf, ist es sehr verführerisch, den Fokus auf den einzelnen Mitarbeitenden zu richten. „Wenn die Müller sich nur anders verhalten würde …“ oder „Wenn der Schulze endlich mal führen würde …“

Meine Praxis hat mir gezeigt, dass hier oftmals eine Verwechslungsfalle lauert. Die Ursache wird beim Einzelnen gesehen, der Blick auf die Organisationsfragen ist dadurch verstellt. Es scheint fast so, dass der Einzelne durch individuelles Verhalten etwas korrigieren soll, das größer ist, im Verborgenen liegt und damit nicht so offensichtlich greifbar ist. Es erscheint einfacher und schneller, vermutliche Fehler am Individuum korrigieren zu wollen, anstatt den Blick breiter auszurichten. 

Besuch in der Loge von Waldorf und Statler

Kennen Sie das? Dann lohnt es sich – bildlich gesprochen – eine Eintrittskarte fürs Unternehmenstheater zu kaufen und seinen Platz in der Loge von Waldorf und Statler aus der Muppet Show einzunehmen.   

Was meine ich damit: Es ist klug, bei wiederholt auftretenden Problemen eine neue Perspektive einzunehmen. Schauen Sie mit Abstand auf die Inszenierung bspw. in Ihrem Führungsteam, in Ihrem Unternehmensbereich oder an der Schnittstelle zu zwei Abteilungen. Nehmen Sie Ihren Logenplatz und damit eine Metaperspektive ein. Fragen Sie sich neugierig: „Was läuft hier eigentlich? Wie kann ich es mit etwas Abstand beschreiben? Welche Erklärungen habe ich dafür? Was höre ich von den anderen dazu?“ In einem hektischen Alltag fällt dies häufig unter den Tisch. Wir springen gern auf erste Antworten und schnelle Lösungen, um den inneren Druck abzubauen, etwas tun zu müssen.

Machen Sie bewusst etwas anders

Stattdessen empfehle ich, die innere Stopptaste zu drücken und anders als bisher zu agieren. Erhalten Sie sich eine offene, neugierige Perspektive unabhängig von Müller, Meier, Schulze. Viel zu schnell sind wir personenbezogen und bewertend unterwegs. „Das ist ja wieder typisch für die Meier.“ Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit weg von Personen und hin zu der Kommunikation und den Phänomenen, die z. B. zwischen einem Operations Manager und Shift Leadern in einem Meeting zu beobachten sind. Bleiben Sie neugierig, statt ärgerlich die Stirn zu runzeln. Was nehmen Sie wahr? Was läuft da an Kommunikation? Wie werden Entscheidungen getroffen? Wann wird geschwiegen? Was Sie hier beobachten, gibt Hinweise auf das unveröffentlichte Drehbuch der Zusammenarbeit.

Ohne Muster keine Organisation

In Unternehmen organisieren wiederkehrende Muster die Zusammenarbeit. Als Beraterin begegnen mir in unterschiedlichen Branchen häufig die gleichen Themen: die da oben vs. die da unten, Konzern vs. Standort, Vertrieb vs. Einkauf, Entwicklung vs. Produktion. Bestimmte Rollen scheinen Einfluss darauf zu nehmen, wie miteinander gesprochen und gearbeitet wird. Wiederholung in Form von Mustern ist insofern gut, da sie Vorhersehbarkeit, Sicherheit und Koordination bedeutet. Problematisch wird es dann, wenn eingeschliffene – und zudem unbewusste – Muster, Entscheidungsroutinen und Spielregeln, Anpassungsfähigkeit, Reaktionszeiten, Veränderung und Wachstum behindern.

Organisationsberater:innen als Trüffelschweine

Als Organisationsberaterin bin ich daran interessiert, wie ein Trüffelschwein destruktive Muster aufzuspüren und zu extrahieren. Dinge an die Oberfläche und in Sprache zu bringen, ist ein erster Stellhebel, um eingeschliffene, unhinterfragte Routinen aufzubrechen. Das bedeutet, als Beraterin Tabuthemen und blinde Flecken zum Thema zu machen. Dabei geht es „nur“ darum, die Muster anzupeilen, die mehr schaden als nutzen.

Zusammenfassend gesagt: Ich möchte Führungskräfte und Entscheider:innen dazu ermuntern, bei auftretenden Problemstellungen selbst zu Trüffelschweinen zu werden, die tiefer graben, um dem „liebenswerten Wahnsinn“ in Organisationen auf die Spur zu kommen. Weg von der Fokussierung auf Einzelpersonen hin zu einer systemischen Perspektive, die erfolgreichere Ansatzpunkte bieten kann als das Ausmerzen vermeintlich individueller Schwächen.

 

Inspirations- und Quellengeber für den Artikel:

Torsten Groth, Franziska Stiegler, Daniela Wallraf-Pflug, Stefan Günther, Fritz B. Simon, Matthias Ohler: „Wie interessant“, Den Wahnsinn der Organisation mit Niklas Luhmann verstehen, Carl-Auer-Systeme Verlag, Heidelberg, Erste Auflage, 2023.